In der Bibel der Wanderführer, dem Rother, steht über Fitz Roy geschrieben: „Es gibt Berge, die vergisst man sein Lebtag nicht“. Der 3445 Meter hohe Monolit, den die Tehuelche-Einwohner Chaltén, rauchender Berg, ursprünglich nannten, ist der absolute König der patagonischen Berge. Für mich ist er sogar vielleicht noch mehr. Der faszinierendste Berg, den ich bislang in meinem Leben gesehen habe.
Schon auf unserer Fahrt von El Calafate nach El Chaltén haben wir absolut Glück mit dem Wetter und bekommen die faszinierende Bergkette mit Fitz Roy und Cierro Torre von weitem zu sehen. Je näher wir dem aus dem Boden gestampften Bergdörfchen El Chaltén kommen, das erst vor 30 Jahren gegründet wurde, desto mehr bekommen wir eine Ahnung warum hierher die bekanntesten Bergsteiger aus aller Welt anreisen. Die Kulisse zieht jeden in ihren Bann. Im Doppeldeckerbus kleben die Touristen an der Vorderscheibe und lassen die Chips ihrer Digitalkameras glühen. Auch wir können uns nicht verkneifen, das ein oder andere Foto mit Scheibenspiegelung von den Bergriesen zu machen.
Das Wetter meint es auch am folgenden Tag mehr als gut mit uns, so dass wir uns bei Sonnnenschein und für patagonische Verhältnisse relativ warmen Temperaturen für die Königsetappe zur Laguna los Tres, ein See am Fuße des Monolithen entscheiden. Wir wählen die Variante von der Hosteria El Pilar, da wir einerseits nicht den gleichen Weg rein- und rauswandern wollen, andererseits hoffen, Touristenmassen etwas zu umgehen. Zweites gelingt nur ansatzweise.
Nach dreistündiger Wanderung durch Buchenwälder, an Gletschern vorbei, dem Riesen näher und näher kommend, erklimmen wir die Endmoräne des Gletschersees, der auf einer Höhe von 1170 m liegt. Bei Sonnenschein und kaum Wind öffnet sich vor uns die majestätische Kulisse der über 2000 m fast senkrecht ansteigenden Ostflanke des Fitz Roys sowie eines zweiten Sees, 300 Höhenmeter tiefer liegend und türkisblau schimmernd, der Laguna Sucia. Wir suchen uns ein Plätzchen und schauen uns das Spektakel ganze anderthalb Stunden an, bevor wir wieder zurückkehren.
In den nächsten zwei Tagen wächst bei mir der Wunsch, mich diesem Berg noch weiter zu nähern. Dies ist für den normalen Bergsteiger ohne Kletter- und hochalpiner Ausrüstung noch von Norden aus kommend, jedoch nur in einer Zweitagestour möglich. An dem auf 1750 Höhenmeter liegenden Passo del Cuadrado kann man sowohl die West- als auch die Nordflanke des Fitz Roys aus nächster Nähe einsehen. Des weiteren befinden sich unterhalb des Passes die Basislager der Kletterer, die den Berg in Angriff nehmen.
Nach einem Regentag kündigt sich ein großes Hochdruckgebiet an, das auch die seit mehr als drei Wochen wartenden Kletterer in unserem Hostel nervös werden lässt. Auch ich bin etwas aufgeregt, da mir aufgrund des Wetters die Tour möglich erscheint, der Aufstieg über mehr als 1300 Hm es aber in sich hat. Ich breche am Samstagmorgen mit Zelt und Kocher auf. Lena hat sich für eine geführte Gletschertour entscheiden. Nach dem Transfer zur Hosteria El Pilar laufe ich knappe zwei Stunden den Weg zur Piedra del Fraile hinein, wo ich mein Zelt aufbaue und alle Sachen, die ich nicht für den Aufstieg brauche, lasse.
Auf mich wartet ein knackiger Aufstieg von mehr als 1000 Höhenmetern vorbei an der Piedra Negra, einem ersten Biwakplatz nach 500 Höhenmetern über loses Geröll und Felsblöcken. Hier erhalte ich einen Blick in die Nordwände des Fitz Roy und der daneben liegenden Aguja Mermoz sowie Aguja Guillaume. Schaut man Richtung Tal nach Westen seht man das patagonische Eisschild auf chilenischer Seite und den Lago Electrico. Es geht weiter steil bergauf. Nach insgesamt zweieinviertel Stunden erreiche ich an einem See eines kleinen Gletschers direkt unter der Nordseite des Fitz Roys den Biwakplatz der Kletterer, die bei überragendem Wetter irgendwo oben im Fels hängen.
Leider bleiben mir die restlichen knapp 100 Höhenmeter zum Passo Cuadrado verwehrt, da sich zu viel Schnee in den letzten Tagen angesammelt hat und ohne Grödeln, Stöcke oder Pickel der Aufstieg mir zu gefährlich erscheint. Aber auch so genieße ich das Glücksgefühl diesem Berg bei Traumwetter sehr nahe gekommen zu sein. Dennoch, verstehen wird man ihn vielleicht erst, wenn man die Fähigkeit mitbringt, ihn auch zu besteigen. Nach dem Abstieg und einer ruhigen Nacht im Zelt geht es am Sonntag zurück nach El Chaltén, wo ich sogar noch den Mittagsbus mit Lena nach El Calafate erwische.