Gletscher haben eine beeindruckende Wirkung. Wenn man vor ihnen steht und sie knarchzen und knacken oder anfangen zu grollen, als würde ein Gewitter auf einen zurollen, dann kann ich nicht wegschauen und könnte stundenlang diese eisigen Giganten beobachten. Das Eis schimmert in allen Blautönen, je nachdem ob die Sonne auf das Eis fällt oder sich ein Schatten darüber schiebt. Ein Gletscher verändert sich ständig.
Ich möchte schon länger gerne einmal auf dieser gigantischen Masse Eis stehen, erfahren wie es ist über Eis zu laufen und eine andere Perspektive zu einem Gletscher einnehmen, als ich es bisher getan habe. Von El Chaltén aus, bietet sich die Gelegenheit den Viedma-Gletscher zu besuchen. Er gehört zu der größten zusammenhängenden Eismasse, nach denen in der Antarktis und der auf Grönland. Auch der Pertio Moreno-Gletscher gehört hierzu, liegt aber vier Autostunden entfernt vom Viedma.
Mit einer geführten Tour hat man die Chance sogar ein Stück auf dem Viedma-Gletscher zu wandern . An dem Tag an dem Jochen zur zweiten Fitz Roy-Tour aufbricht, mache ich mich also auf den Weg zum Gletscher. Mit dem Bus geht es zu einem Bootsanleger am Lago Viedma und dann aufs Boot. Es ist windstill und die Sonne scheint, die Wolken und umliegenden Berge spiegeln sich im See. Irgendwann taucht die Gletscherzunge vor uns auf und der Gletscher doppelt sich im spiegelglatten Wasser, so dass man das Gefühl hat er würde unendlich im Wasser unter den Eisschollen abtauchen.
Wir legen links vom Gletscher an einem Felsen an. An der Bootsspitze muss man vom Boot hüpfen, einen richtige Anlegestelle gibt es nicht. Wir stehen auf vom Gletscher glattgeschliffenem Fels, der einige Schleifspuren von über ihn gezogene Steine zeigt. Um zum Gletscher zu gelangen laufen wir zunächst über den Felsen, bis sich der Gletscher wieder vor uns zeigt. Der Abstieg erfolgt an der Seite des Felsbergs, wo ein noch höherer Berg emporragt. Mit Helmen ausgestattet klettern wir über loses Gestein und den kantigen Felsen immer tiefer hinab bis zur Seite des Gletschers, wo wir die Grödeln anlegen, mit deren Zacken man Halt auf dem Eis hat.
Nach einer kleinen Demonstration, wie man sicher mit dem ungewohnten Schuhwerk übers Eis kommt, dürfen wir die ersten Schritte auf dem Eis machen. Es knirscht mit dem ersten Schritt, fühlt sich aber erstaunlich unrutschig an. Natürlich bekommen wir die light Version vom Gletscherwandern geboten, wo es schwierig wird, wird einem eine Hand gereicht oder es werden schnell ein paar Stufen ins Eis geschlagen.
Wir laufen immer höher auf die Grate des sich aufgeklüfteten Eises, das sich pro Tag zwei Meter nach vorne schiebt. Leider heißt dies nicht, dass der Gletscher nicht schrumpft. Anders als der Perito Moreno-Gletscher schrumpft der Viedma-Gletscher so stark, dass vielleicht schon im nächsten Jahr die Gletscherwanderung nicht mehr möglich sein wird, weil der Weg zum Eis zu lang, beschwerlich und gefährlich werden wird.
Auf einer der Höhen angekommen bietet sich ein atemberaubender Blick über Eis, in weiß, blau, mit vielen Löchern, tiefen Gräben und einer unglaublichen Weite. Die Löcher, die das Eis stellenweise wie einen Schweizern Käse aussehen lassen, entstehen durch Steine, die sich in der Sonne aufheizen und dann in das Eis fressen. Der Viedma-Gletscher ist an vielen Stellen von einer feinen Gesteinsschicht überzogen, die bei starkem patagonischen Wind über das Eis getragen wird. An einer Stelle stehen wir über einem kleinen Wasserfall, wie es zunächst scheint, als jedoch ein Stein hineingeworfen wird, hören wir erst nach einer ganzen Weile das vertraute „Plopp“. Also immer schön in der Reihe der Eiswandernden bleiben, denn in den Spalten kann es sehr weit runter gehen.
Nach der Mittagspause an diesem unwirklichen Platz dürfen wir das Eisklettern ausprobieren. Bewaffnet mit zwei Eispickeln, darf sich nach einer Demonstration, wie diese zu benutzen sind, jeder einmal an einer Eiswand probieren. Es macht richtig Spaß im Eis zu klettern, auch wenn unsere Eiswand keine große Herausforderung ist.
Als Abschluss in der Eislandschaft gibt es einen argentinischen Baileys auf Gletschereis mit Eiskulisse und Sonnenschein – herrlich. Dann verlassen wir das Eis und kehren zurück auf den gewohnten Boden.